Dienstag, 22 Januar, 2019, 21:49 - L
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Die Erfahrungen von Menschen mit unterschiedlichen Lernumgebungensb_postedby sb_admin
stehen in engem Zusammenhang mit ihren jeweiligen Bildungsbiographien:
Kommen in diesen Biographien nur die Lernumgebungen des traditionellen
Schul- und Hochschulunterrichts vor (Fachräume und Klassenräume) oder
liegen Erfahrungen mit weiteren Lernumgebungen vor: mit Fernstudium, mit
Bildungsreisen, mit Praktika, mit Hospitationen, mit Tagungen und Konfe-
renzen oder mit öffentlichen Diskussionen ? Wie weit wurden und werden
Museen, Bibliotheken, Beratungsstellen, Zoos, Theater, Kirchen, Sport-
lätze, Fernsehsendungen, Zeitungen, PCs oder Bücher bewußt als Lern-
umgebungen bzw. als Elemente von bestimmten Lernumgebungen wahr-
genommen ?
Lernumgebungen sind jedoch immer auch Ausdruck von Lernkultur. Wenn
man beispielsweise die für Management-Training typischen Lernumgebungen
vergleicht mit denen, die für die militärische Grundausbildung oder für die
Lehrlingsausbildung charakteristisch sind, fallen die Unterschiede rasch ins
Auge. Noch deutlicher werden diese Unterschiede, wenn man den
europäisch-abendländischen Bereich verlässt und z.B. an Lernumgebungen
außereuropäischer Kulturen denkt: An buddhistische Klöster, an Moscheen
oder an "Buschschulen", in denen Kinder afrikanischer Stämme auf ihre
Initiation vorbereitet werden. Wir wollen uns deshalb zunächst der
kulturellen Eigenart von Lernumgebungen zuwenden.
Merkmale bzw. Elemente von Lernum-
gebungen nach folgenden Katagorien knapp beschrieben werden:
* Lernorte
* Lernzeiten
* Raumgestaltung und Raumausstattung
* Personen (Gestaltung der Sozialbeziehungen)
* Hintergrund-Materialien & Medien
* Geräte & Werkzeuge
* Referenzen
* Regelungen
* Kursmaterialien
KULTURSPEZIFISCHE EIGENART VON LERNUMGEBUNGEN
Die 20 Grundmodelle didaktischen Handelns sind nicht lediglich verschie-
dene Lehrmethoden bzw. Lehrtechniken zu betrachten. Vielmehr wird die
Lernumgebung als Komponente des methodischen Kerns von Elementen
bestimmt von einem "kulturellen Hintergrund", zu dessen Elementen neben
Raum- und Zeitstrukturen auch Objekte und Symbole, Personen und
Werkzeuge, Mythen und Rituale gehören. So nimmt es nicht wunder, wenn
man von Untersuchungen mit indianischen Jugendlichen erfährt, die in
runden Räumen offensichtlich besser lernten als in rechteckigen Räumen.
Und daß gut gestaltete und sorgfältig unterhaltene Lernumgebungen
positivere Wirkungen auf Lernklima und Lernerfolg haben als verwahrloste,
entspricht unserer Alltagserfahrung.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß tätigkeitstheoretisch
orientierte Psychologen wie z.B. LEONTIEW darauf hingewiesen haben,
daß und wie die Denkformen der Menschen von ihrer Arbeitsorganisation
und vom Gebrauch typischer Werkzeuge bestimmt werden. Beides sind
wichtige Elemente des kulturellen Hintergrunds, der nicht nur die Form
ihres Denkens, sondern auch die Form ihres Lernens bestimmt. Man kann
diese Erkenntnis jedoch auch in umgekehrter Richtung anwenden: Wenn
sich die Arbeitsorganisation und der Werkzeuggebrauch ändern oder
ändern sollen, müssen auch die "Didaktiken" sich ändern, wenn ein
Auseinanderklaffen beider oder gar ein kontraproduktiver Einfluß vermieden
werden soll.
In neuerer Zeit wird - vor allem in Hinblick auf Entwicklungsländer - die
Notwendigkeit "angepaßter" Lernumgebungen und Lehrmittel betont. Damit
ist gemeint, daß Lernumgebungen in diesen Ländern so beschaffen sein
sollten, daß sie aus einheimischen Quellen und mit einheimischen Mitteln zu
gestalten und zu unterhalten sind. Verzichtet werden soll im besondern auf
teuere importierte "Unterrichtstechnologie", die aus finanziellen und
personellen Gründen auf Dauer weder finanziert noch gewartet werden kann.
Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Beispiele dafür, wie mit didaktischer
Phantasie auch angesichts knapper Mittel differenzierte und vielfältige
Lernumgebungen entwickelt werden können.
Damit ist erneut der Zusammenhang zwischen den gegenwärtig stattfinden-
den kulturellen und ökonomischen Veränderungen auf der einen und den
Änderungen des bedeutsamen kulturellen Hintergrunds von Didaktiken auf
der anderen Seite angesprochen. Bezogen auf Lernumgebungen lassen
sich mindestens drei Gesichtspunkte hervorheben, an denen sich dieser
Zusammenhang besonders deutlich zeigen läßt: Unsere Kultur wird kom-
plexer (und damit unübersichtlicher), sie wird "pluralistischer" (und damit
auch "multikultureller") und sie wird bestimmt von einem Wertewandel, der
auf die Sicherung von Lebensqualität abzielt. "Neues Lernen", wie wir es
bereits in Kurs 1 umrissen haben, ist deshalb auf Lernumgebungen
angewiesen, die den Änderungen unserer Kultur Rechnung tragen.
Lernumgebung sollten deshalb
* komplex sein,
* vielfältig sein und
* Lebensqualität sichern.
KOMPLEXE UND WENIG KOMPLEXE LERNUMGEBUNGEN
Die Komplexität einer Lernumgebung ist nicht gleichzusetzen mit der
Reichhaltigkeit der Ausstattung, auch wenn es hierbei gewisse Zusammen-
hänge gibt. Wenig komplexe Lernumgebungen zeichnen sich dadurch aus,
* daß Lerntätigkeit ausschließlich an einem einzigen Lernort ausgeübt wird,
* daß die Lernzeiten in standardisierte Intervalle eingeteilt und wenig
gegliedert sind,
* daß Räume spärlich ausgestattet sind,
* daß es im wesentlichen nur eine einzige Informationsquelle gibt (z.B.
den Lehrer),
* daß im wesentlichen nur ein einziger Kanal für die Informationsvermittlung
genutzt wird (z. B. direkte mündliche Übermittlung),
* daß kaum Hintergrundmaterialien (Lexika, Literaturapparat etc.) bereit-
gestellt werden,
* daß (z.B. außer Tafel und Kreide) kaum Medien zur Präsentation und
Visualisierung eingesetzt werden,
* daß Lernern keine kursspezifischen Lernmaterialien zur Verfügung stehen
* und daß die keine Regelungen für die Nutzung und Wartung der Lernum-
gebung existieren.
Komplexe Lernumgebungen zeichnen sich demgegenüber durch das
Vorhandensein der genannten Merkmale aus, vor allem aber dadurch, daß
zwischen den einzelnen Elementen sowie zu den Lernaufgaben und Lern-
tätigkeiten differenzierte Beziehungen bestehen.
MODELLSPEZIFISCHE UND MODELLÜBERGREIFENDE ELEMENTE
VON LERNUMGEBUNGEN
Es versteht sich von selbst, daß Lernumgebungen so beschaffen sein sollten,
daß die nach dem jeweiligen didaktischen Modell gestaltete Unterrichtseinheit
effektiv durchgeführt werden kann. So erfordern z.B.
* Erkundungen sorgfältige Auswahl der externen Lernorte,
* Planspiele mit mehreren Teams außer entsprechenden Planspielunterlagen
auch Möglichkeiten des Rückzugs der Teams in abgeschirmte Raumbereiche,
* Werkstattseminare eine Ausstattung mit Pinnwand-Material,
* Lernnetzwerke Möglichkeiten der Telekommunikation oder
* Disputationen eine entsprechende Anordnung der Pulte und Sitzmöbel sowie
Begrenzung der Redezeiten.
Frontalunterricht hingegen läßt sich - wie Beispiele in Ländern der Dritten
Welt zeigen - im Extremfall auch unter einem Baum durchführen, wobei der
Lehrer steht und die Schüler auf dem Boden sitzen.
Es besteht also ein funktionaler Zusammenhang zwischen der Modellspezifik
einer Unterrichtseinheit und der Gestaltung der Lernumgebung. Daraus
lassen sich zweierlei Konsequenzen ziehen:
Zum einen muß man auf Modellvielfalt verzichten, wenn die entsprechende
Gestaltung der Lernumgebung nicht möglich ist (oft als beliebte Ausrede
verwendet). Zum anderen muß man langfristig und mittelfristig Anstrengungen
unternehmen, um die Möglichkeit zur modellspezifischen Gestaltung von
Lernumgebungen zu verbessern.
Unter dem Stichwort "multifunktionale Lernumgebungen" bzw. "Lernräume"
wurden beispielsweise bereits im Schulbau der 60er Jahre entsprechende
Anstrengungen unternommen. Dazu gehörten zum einen flexible Wände,
leicht umzustellendes Mobiliar sowie Schränke und Regale für Lern-
materialien. Es gehörten dazu die verschiedensten Geräteausstattungen
für den Medieneinsatz. Und es gehörten dazu Vitrinen und Aufhängevor-
richtungen für Ausstellungen sowie Anschlüsse für Wasser, für Fernseh-
empfang und für Telekommunikation. Wie einzelne Beispiele aus dem
internationalen Bereich zeigen, lassen sich multifunktionale Lernumgebungen
dieser Art auch bereits mit bescheidenen Mitteln herstellen. Andererseits
sollten alle für Bildungseinrichtungen verantwortlichen Personen darauf
bedacht sein, langfristig gut ausgestattete, multifunktionale und auf Dauer
zu unterhaltende Lernumgebungen zu entwickeln.
(Flechsig, in: CEDID)
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