LERNUMGEBUNGEN, LERNERFAHRUNGEN UND LERNKULTUREN 
Dienstag, 22 Januar, 2019, 21:49 - L
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Die Erfahrungen von Menschen mit unterschiedlichen Lernumgebungen
stehen in engem Zusammenhang mit ihren jeweiligen Bildungsbiographien:
Kommen in diesen Biographien nur die Lernumgebungen des traditionellen
Schul- und Hochschulunterrichts vor (Fachräume und Klassenräume) oder
liegen Erfahrungen mit weiteren Lernumgebungen vor: mit Fernstudium, mit
Bildungsreisen, mit Praktika, mit Hospitationen, mit Tagungen und Konfe-
renzen oder mit öffentlichen Diskussionen ? Wie weit wurden und werden
Museen, Bibliotheken, Beratungsstellen, Zoos, Theater, Kirchen, Sport-
lätze, Fernsehsendungen, Zeitungen, PCs oder Bücher bewußt als Lern-
umgebungen bzw. als Elemente von bestimmten Lernumgebungen wahr-
genommen ?

Lernumgebungen sind jedoch immer auch Ausdruck von Lernkultur. Wenn
man beispielsweise die für Management-Training typischen Lernumgebungen
vergleicht mit denen, die für die militärische Grundausbildung oder für die
Lehrlingsausbildung charakteristisch sind, fallen die Unterschiede rasch ins
Auge. Noch deutlicher werden diese Unterschiede, wenn man den
europäisch-abendländischen Bereich verlässt und z.B. an Lernumgebungen
außereuropäischer Kulturen denkt: An buddhistische Klöster, an Moscheen
oder an "Buschschulen", in denen Kinder afrikanischer Stämme auf ihre
Initiation vorbereitet werden. Wir wollen uns deshalb zunächst der
kulturellen Eigenart von Lernumgebungen zuwenden.

Merkmale bzw. Elemente von Lernum-
gebungen nach folgenden Katagorien knapp beschrieben werden:

* Lernorte
* Lernzeiten
* Raumgestaltung und Raumausstattung
* Personen (Gestaltung der Sozialbeziehungen)
* Hintergrund-Materialien & Medien
* Geräte & Werkzeuge
* Referenzen
* Regelungen
* Kursmaterialien

KULTURSPEZIFISCHE EIGENART VON LERNUMGEBUNGEN

Die 20 Grundmodelle didaktischen Handelns sind nicht lediglich verschie-
dene Lehrmethoden bzw. Lehrtechniken zu betrachten. Vielmehr wird die
Lernumgebung als Komponente des methodischen Kerns von Elementen
bestimmt von einem "kulturellen Hintergrund", zu dessen Elementen neben
Raum- und Zeitstrukturen auch Objekte und Symbole, Personen und
Werkzeuge, Mythen und Rituale gehören. So nimmt es nicht wunder, wenn
man von Untersuchungen mit indianischen Jugendlichen erfährt, die in
runden Räumen offensichtlich besser lernten als in rechteckigen Räumen.
Und daß gut gestaltete und sorgfältig unterhaltene Lernumgebungen
positivere Wirkungen auf Lernklima und Lernerfolg haben als verwahrloste,
entspricht unserer Alltagserfahrung.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß tätigkeitstheoretisch
orientierte Psychologen wie z.B. LEONTIEW darauf hingewiesen haben,
daß und wie die Denkformen der Menschen von ihrer Arbeitsorganisation
und vom Gebrauch typischer Werkzeuge bestimmt werden. Beides sind
wichtige Elemente des kulturellen Hintergrunds, der nicht nur die Form
ihres Denkens, sondern auch die Form ihres Lernens bestimmt. Man kann
diese Erkenntnis jedoch auch in umgekehrter Richtung anwenden: Wenn
sich die Arbeitsorganisation und der Werkzeuggebrauch ändern oder
ändern sollen, müssen auch die "Didaktiken" sich ändern, wenn ein
Auseinanderklaffen beider oder gar ein kontraproduktiver Einfluß vermieden
werden soll.

In neuerer Zeit wird - vor allem in Hinblick auf Entwicklungsländer - die
Notwendigkeit "angepaßter" Lernumgebungen und Lehrmittel betont. Damit
ist gemeint, daß Lernumgebungen in diesen Ländern so beschaffen sein
sollten, daß sie aus einheimischen Quellen und mit einheimischen Mitteln zu
gestalten und zu unterhalten sind. Verzichtet werden soll im besondern auf
teuere importierte "Unterrichtstechnologie", die aus finanziellen und
personellen Gründen auf Dauer weder finanziert noch gewartet werden kann.
Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Beispiele dafür, wie mit didaktischer
Phantasie auch angesichts knapper Mittel differenzierte und vielfältige
Lernumgebungen entwickelt werden können.

Damit ist erneut der Zusammenhang zwischen den gegenwärtig stattfinden-
den kulturellen und ökonomischen Veränderungen auf der einen und den
Änderungen des bedeutsamen kulturellen Hintergrunds von Didaktiken auf
der anderen Seite angesprochen. Bezogen auf Lernumgebungen lassen
sich mindestens drei Gesichtspunkte hervorheben, an denen sich dieser
Zusammenhang besonders deutlich zeigen läßt: Unsere Kultur wird kom-
plexer (und damit unübersichtlicher), sie wird "pluralistischer" (und damit
auch "multikultureller") und sie wird bestimmt von einem Wertewandel, der
auf die Sicherung von Lebensqualität abzielt. "Neues Lernen", wie wir es
bereits in Kurs 1 umrissen haben, ist deshalb auf Lernumgebungen
angewiesen, die den Änderungen unserer Kultur Rechnung tragen.
Lernumgebung sollten deshalb

* komplex sein,
* vielfältig sein und
* Lebensqualität sichern.

KOMPLEXE UND WENIG KOMPLEXE LERNUMGEBUNGEN

Die Komplexität einer Lernumgebung ist nicht gleichzusetzen mit der
Reichhaltigkeit der Ausstattung, auch wenn es hierbei gewisse Zusammen-
hänge gibt. Wenig komplexe Lernumgebungen zeichnen sich dadurch aus,

* daß Lerntätigkeit ausschließlich an einem einzigen Lernort ausgeübt wird,

* daß die Lernzeiten in standardisierte Intervalle eingeteilt und wenig
gegliedert sind,

* daß Räume spärlich ausgestattet sind,

* daß es im wesentlichen nur eine einzige Informationsquelle gibt (z.B.
den Lehrer),

* daß im wesentlichen nur ein einziger Kanal für die Informationsvermittlung
genutzt wird (z. B. direkte mündliche Übermittlung),

* daß kaum Hintergrundmaterialien (Lexika, Literaturapparat etc.) bereit-
gestellt werden,

* daß (z.B. außer Tafel und Kreide) kaum Medien zur Präsentation und
Visualisierung eingesetzt werden,

* daß Lernern keine kursspezifischen Lernmaterialien zur Verfügung stehen

* und daß die keine Regelungen für die Nutzung und Wartung der Lernum-
gebung existieren.

Komplexe Lernumgebungen zeichnen sich demgegenüber durch das
Vorhandensein der genannten Merkmale aus, vor allem aber dadurch, daß
zwischen den einzelnen Elementen sowie zu den Lernaufgaben und Lern-
tätigkeiten differenzierte Beziehungen bestehen.

MODELLSPEZIFISCHE UND MODELLÜBERGREIFENDE ELEMENTE
VON LERNUMGEBUNGEN

Es versteht sich von selbst, daß Lernumgebungen so beschaffen sein sollten,
daß die nach dem jeweiligen didaktischen Modell gestaltete Unterrichtseinheit
effektiv durchgeführt werden kann. So erfordern z.B.

* Erkundungen sorgfältige Auswahl der externen Lernorte,
* Planspiele mit mehreren Teams außer entsprechenden Planspielunterlagen
auch Möglichkeiten des Rückzugs der Teams in abgeschirmte Raumbereiche,
* Werkstattseminare eine Ausstattung mit Pinnwand-Material,
* Lernnetzwerke Möglichkeiten der Telekommunikation oder
* Disputationen eine entsprechende Anordnung der Pulte und Sitzmöbel sowie
Begrenzung der Redezeiten.

Frontalunterricht hingegen läßt sich - wie Beispiele in Ländern der Dritten
Welt zeigen - im Extremfall auch unter einem Baum durchführen, wobei der
Lehrer steht und die Schüler auf dem Boden sitzen.

Es besteht also ein funktionaler Zusammenhang zwischen der Modellspezifik
einer Unterrichtseinheit und der Gestaltung der Lernumgebung. Daraus
lassen sich zweierlei Konsequenzen ziehen:
Zum einen muß man auf Modellvielfalt verzichten, wenn die entsprechende
Gestaltung der Lernumgebung nicht möglich ist (oft als beliebte Ausrede
verwendet). Zum anderen muß man langfristig und mittelfristig Anstrengungen
unternehmen, um die Möglichkeit zur modellspezifischen Gestaltung von
Lernumgebungen zu verbessern.

Unter dem Stichwort "multifunktionale Lernumgebungen" bzw. "Lernräume"
wurden beispielsweise bereits im Schulbau der 60er Jahre entsprechende
Anstrengungen unternommen. Dazu gehörten zum einen flexible Wände,
leicht umzustellendes Mobiliar sowie Schränke und Regale für Lern-
materialien. Es gehörten dazu die verschiedensten Geräteausstattungen
für den Medieneinsatz. Und es gehörten dazu Vitrinen und Aufhängevor-
richtungen für Ausstellungen sowie Anschlüsse für Wasser, für Fernseh-
empfang und für Telekommunikation. Wie einzelne Beispiele aus dem
internationalen Bereich zeigen, lassen sich multifunktionale Lernumgebungen
dieser Art auch bereits mit bescheidenen Mitteln herstellen. Andererseits
sollten alle für Bildungseinrichtungen verantwortlichen Personen darauf
bedacht sein, langfristig gut ausgestattete, multifunktionale und auf Dauer
zu unterhaltende Lernumgebungen zu entwickeln.

(Flechsig, in: CEDID)

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Lernumgebung 
Dienstag, 22 Januar, 2019, 21:30 - L
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Die Lernumgebung ist derjenige Ausschnitt der Umwelt des Lerners, der ausgewählt und gestaltet wird, um Lerntätigkeit zu ermöglichen und zu unterstützen. Die Lernumgebung besteht in der Regel aus

- realen Objekten (Rohmaterial, Organismen, Gegenständen,
Geräten oder Werkzeugen),
- Medien (gesprochenen und/oder schriftlichen Texten, Abbil-
dungen, Filmen, Modellen oder Elementarisierungen),
- Lernhelfern (Experten, Tutoren, Moderatoren, Beratern,
Organisatoren oder Autoren), und
- Regeln (z.B. Ordnungen für räumliche, zeitliche oder
institutionelle Nutzung, soziale Gruppierung etc.)

Lernumgebungen können eng in Realität eingebunden sein (Lernen am Arbeitsplatz etc.) oder zeitlich und räumlich ausgegliedert, sie können einfach oder komplex sein.

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Lernstrategie, Phasen von Lernstrategien 
Dienstag, 22 Januar, 2019, 20:26 - L
sb_postedby sb_admin
Die Entwicklung, Verbesserung und Veränderung eigener Lernstrategien
hat offensichtlich mehrere Aspekte:

- Entwicklung der Fähigkeit, den Lerninhalt als bedeutsam anzusehen,
d.h. ihn auf seine längerfristige BEDEUTUNG für die Entwicklung der
eigenen Persönlichkeit anzusehen.

- Entwicklung der Fähigkeit, sich auf einen Lernprozeß einzulassen
und nicht auszuweichen, bzw. sich ablenken zu lassen (KONZENTRATION)

- Entwicklung der Fähigkeit, die für den Lernprozeß erforderlichen
INFORMATIONEN aufzufinden und einzuordnen in den bisherigen Er-
fahrungskreis.

- Entwicklung der Fähigkeit, das neu Gelernte gegen Vergessen abzu-
sichern und zu ÜBEN.

- Und schließlich Entwicklung der Fähigkeit, das Gelernte auf neue
Erfahrungen, auf die Bewältigung neuer Lebenssituationen anzuwenden
(ÜBERTRAGUNG)


Schon der erste Blick auf diese fünf Punkte zeigt, daß zumindest
Erwachsene nie bei Null anfangen, wenn sie "das Lernen lernen".
Sie haben immer schon Vorerfahrungen, positive oder negative.
Im folgenden sollen die oben genannten Punkte auf solche Erfahrungen
hin geprüft werden.

BEDEUTSAMKEIT (des Lerngegenstandes): Jedermann kennt den Spruch:
"Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen!". Damit soll
gesagt sein, daß wir uns bemühen sollten, Kenntnisse und Fähigkeiten
unter dem Gesichtspunkt künftiger Anwendbarkeit zu sehen. Betrachtet
man diese Maxime jedoch etwas näher, so erweist sie sich als
wesentlich komplizierter als man annimmt: Was man künftig "brauchen"
wird, hängt immer auch davon ab, wofür man sich jetzt zu interes-
sieren beginnt. Nicht nur, daß wir die Zukunft und somit den
künftigen Bedarf nicht vorhersehen können; wir können auch unsere
eigene Persönlichkeitsentwicklung nur teilweise vorhersagen.
Insofern läßt sich die Bedeutung eines Lerngegenstandes keineswegs
aus unseren Zukunftsvorstellungen ableiten. Wir müssen stets auch
unsere Vergangenheit und unsere Gegenwart heranziehen, um solche
Bedeutungen zu erkennen und auch bewußt formulieren zu können.

KONZENTRATION: Das Bewußtsein langfristiger Bedeutsamkeit eines
Lerngegenstandes reicht offfensichtlich nicht aus, um in jedem
Augenblick die Entscheidungen über Lernzeit und Lernaufwand ver-
nünftig treffen und und konsequent durchführen zu können. Es gibt
offensichtlich Ablenkungen der verschiedensten Art. Auch dies ist
eine Alltagserfahrung: In jedem Moment streiten meist mehrere
- bewußt oder unbewußt wirksame - Handlungsziele um Verwirklichung.
Auf dem Schreibtisch liegt das Buch - draußen lockt das Wetter
zum Bade - im Fernsehen läuft eine wichtige Sendung. Mancher hat
hier schon seine privaten Erfindungen gemacht, wie man sich dazu
bringen kann, "bei der Stange zu bleiben": Sich selbst Belohnungen
in Aussicht stellen, wenn man durchhält, die Lernaktivität, zu
der man sich entschlossen hat, mit einer Reihe von angenehmen
Kleinbelohnungen zu umgeben (etwas in den Mund stecken, sei es
eine Zigarette, sei es etwas Eßbares, sei es ein Getränk), oder
auch das Ausdenken von Strafen, wenn nicht.... Es gibt aber auch
die Erfahrung, daß es keinen größeren Erfolg als den Erfolg gibt,
daß der beste Lohn darin liegen kann, die Sache als solche lieben
zu lernen. Ebenso wie man sich angewöhnen - sprich: wie man
lernen - kann, Zigaretten zu mögen, kann man auch lernen, Waldlauf,
Zeitungslektüre oder Kreuzworträtsel zu mögen.

INFORMATIONSVERARBEITUNG: Daß Lernen etwas mit Informationen zu
tun hat, ist auch eine Alltagserfahrung. Dabei ist zunächst un-
erheblich, in welcher Weise die Informationen vorliegen: als
"Vormachen" der zu erlernenden Tätigkeit durch einen anderen,
als Abbildung oder als gesprochene oder geschriebene Sprache.
Informationen sind aber noch keine Garantie dafür, daß sie auch
aufgenommen werden. "Man kann ein Pferd zur Tränke führen, aber
nicht trinken machen!" - so lautet ein englisches Sprichwort.
Informationsaufnahme ist demnach als ein aktiver Prozeß des
Lerners zu sehen. Wie der Lerner den Informationsaufnahmeprozeß
steuert und regelt, darüber haben Menschen schon lange nachgedacht.
Bei diesem Nachdenken hat sich in einigen Punkten Übereinstimmung
ergeben. Einmal ist die Tätigkeit des Informationsaufnehmens
nämlich in hohem Maße abhängig von der Vorerfahrung (dem Vorwissen,
der Vorstrukturierung meines Wissens). Zum anderen ist offen-
sichtlich die Information ein und derselben Sache für verschiedene
Menschen verschieden groß. Und schließlich ist die Menge der
Informationen pro Zeiteinheit, die aufgenommen und verarbeitet
werden können, begrenzt. Schließlich aber, und auch das ist
wichtig zu wissen, gibt es im menschlichen Gehirn keine erkennbare
Grenze der "Speicherungsfähigkeit", d.h. alles was aufgenommen und
verarbeitet werden kann, findet auch Platz. Das Phänomen des
Vergessens und Verlernens bei mangelnder Übung kennt ebenfalls
jeder, wie man auch aus eigener Erfahrung meist weiß, daß man
beim "Wiederlernen" einer Sache, die man vergessen zu haben
scheint, weniger Zeit braucht. Sie kann demnach nicht völlig
"ausgelöscht" gewesen sein.

ÜBEN: Knüpfen wir auch hier wieder an eine Sprichwörterweisheit
an: "Übung macht den Meister!". Darin liegen ganz offensichtlich
zwei Aspekte. Zum einen wirkt "Üben" oder "Wiederholen"
("repetitio est mater studiorum") dem Vergessen entgegen und
bewirkt es, eine Fähigkeit, die erlernt wurde, auf der gleichen
Höhe zu halten. Zum anderen aber steht Üben auch im Zusammenhang
mit Perfektion und Virtuosität. Da sich jede Fähigkeit (bis zu
einer individuell und theoretisch zu bestimmenden Obergrenze)
steigern läßt, welche die meisten Menschen nie anstreben,
geschweige denn erreichen, geht es meistens immer noch ein
bißchen weiter. Man weiß das vom Klavierspielen, aber auch vom
Sport. Für die Beherrschung einer Fremdsprache gilt ähnliches.
Und schließlich dürfen die Dinge auch im emotionalen Bereich
Entsprechungen haben. Haß ist erlernbar und offenbar auch
steigerungsfähig. Man muß nur gut üben.

ÜBERTRAGUNG (auf neue Lebenssituationen): Wer hat nicht schon den
Spruch gehört, daß jemand, der Latein gelernt hat, besser logisch
denken kann. Dahinter verbirgt sich die Auffassung, daß die
Fähigkeiten, die man beim Lateinlernen entwickelt, auf andere
Erfahrungsbereiche übertragbar seien. Dies ist nicht ganz falsch,
aber auch nicht ganz richtig. Richtig ist dies deshalb, weil eine
Übertragung jeder Erfahrung auf neue Situationen stattfindet,
wenn sich frühere und neue Situationen in bestimmten Punkten
entsprechen. Also ist auch das Zuordnen von Beispielen und
Regeln, das beim Lateinlernen stattfindet, eine in diesem Sinne
auf ähnliche Situationen übertragbare Erfahrung. Andererseits
trifft natürlich auch das Umgekehrte zu: Wer das Zuordnen von
Regeln und Beispielen an einem komplexen Gegenstand - etwa an
einer Programmiersprache erlernt hat, kann diese Erfahrungen auch
auf das Lateinlernen übertragen; aber natürlich auch auf andere
Bereiche mit ähnlichen Strukturen. Wenn dies zutrifft, dann
wird es darauf ankommen, die Regelhaftigkeit solcher Übertragungen
etwas genauer durchschauen zu lernen. Vor allem die Beschäftigung
mit allgemeinern Handlungsregeln oder "Modellen" spielt hier eine
gewisse Rolle.

Dies aber verweist uns auf unser Ausgangsproblem: "Lernstrategien
entwickeln". Wenn wir das "Lernen lernen" wollen, so müssen wir
demnach auch versuchen, allgemeinere Handlungsmuster für Lern-
tätigkeit zu erkennen und anwenden zu lernen. Diese "Lern-
strategien" sind dann zu üben.. Voraussetzung aber ist, daß wir
eine persönliche Bedeutsamkeit in der jeweils zu erlernenden
Fähigkeit sehen können, daß wir unsere Konzentration sichern
(etwa indem wir uns bemühen, während der ganzen Seminarzeit im
Raum zu sein), und schließlich, daß wir gewisse Informationen
(z.B. lernpsychologisches Wissen) aufnehmen.

REFLEXION: Damit sind wir beim sechsten und letzten Punkt ange-
kommen. Eine Erfahrung wird nur dadurch zu einer Erfahrung, daß
man sie bewußt macht (prüfen Sie einmal, wie Sie die beiden
letzten Wörter betont haben!). Es geht also darum, nach Ablauf
eines Geschehens z.B. eines Lernprozesses, sich darüber Gedanken
zu machen, was geschehen ist, aber auch das Geschehene zu
bewerten. Solche Reflexion setzt zumeist Sprache voraus. Man
kann aber auch Bilder und Zeichen verwenden. Besonders nützlich
sind hier "Lernberichte", die man entweder schreibt (man braucht
sie ja keinem anderen zu zeigen) oder aber auch mündlich anderern
vorträgt. Dabei ist allerdings darauf zu achten, daß keine
anderen Motive ins Spiel kommen (z.B. daß man sich überlegen
darstellen will). Nach und nach wird man dazu kommen, zur Inter-
pretation des Geschehens Theorien und Modelle heranzuziehen,
entweder solche, die die Wissenschaft entwickelt hat, oder aber
solche, die man selber einer Bewährungsprüfung unterzogen und
für den eigenen Gebrauch als zweckmäßig ausgewählt hat.


LERNÜBUNG 1: Versuchen Sie, die wichtigsten Aussagen dieses
Textes so zu lernen, daß Sie sie einer anderen Person mitteilen
können! Gehen Sie bitte in folgenden Schritten vor:

1. Schritt: Machen Sie sich klar, welche Bedeutung für Sie der
Erwerb von Lernstrategien hat, und zwar im Hinblick
auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft!

2. Schritt: Überlegen Sie sich, wie Sie sich am "Ausbrechen"
aus der Lektüre bzw. aus dem Lernprozeß selbst
hindern wollen! Schließen Sie am besten einen
schriftlichen Vertrag mit sich selbst!

3. Schritt: Ordnen Sie die Information so, daß sie in Ihr
Erfahrungssystem paßt! Wenn dies auf Anhieb nicht
gelingt, benutzen Sie die sechs verwendeten Begriffe
"Bedeutsamkeit", "Konzentration", "Informations-
verarbeitung", "Übung", "Übertragung" und "Reflexion".
Wenn Sie noch eine zusätzliche "Eselsbrücke" brauchen,
bilden Sie aus den Anfangsbuchstaben ein schönes
Wort (z.B. "IKÜBÜR"! Sie können auch ein prägnantes
Bild oder eine andere Symbolik verwenden, die Sie
kennen.

4. Schritt: Das Gelernte kann man recht gut üben, wenn man es
einem anderen berichtet. Dieser soll ruhig zurück-
fragen dürfen, aber nur sehr formal (z.B. "Sind das
nur fünf Punkte?" oder "Bezieht sich Informations-
verarbeitung nur auf Aufnehmen und Speichern?").
Eine richtige Diskussion zu diesem Zeitpunkt wäre
eher eine Ablenkung. Man kann sich den Gegenüber
aber auch nur vorstellen, und sich dabei selbst die
Fragen stellen. Was man nicht weiß, am besten
notieren und später gezielt nachlesen.

5. Schritt: Bearbeiten Sie einen anderen Text auf die gleiche
Weise, später vielleicht einen Vortrag oder eine
technische Fertigkeit wie die Bedienung eines
Kleinrechners.

6. Schritt: Schreiben Sie einen kurzen Lernbericht, in dem Sie
Ihre Erfahrungen, Schwierigkeiten und Einsichten
festhalten! Sie können auch, wenn Sie nicht gern
schreiben, einen anderen bitten, Ihren mündlichen
Bericht anzuhören.


Quelle: Flechsig, Karl-Heinz,
"Lernstrategien",
13.05.1980

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Lernstrategie 
Dienstag, 22 Januar, 2019, 20:23 - L
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Lernstrategien sind Strategien, die Menschen anwenden, um sich Wissen oder Kompetenzen anzueignen. Man verwendet dafür auch die Begriffe "Lerntechniken", "Studiertechniken" oder "Arbeitstechniken". Diese Techniken beinhalten im besonderen Methoden,
- sich selbst zum Lernen zu veranlassen ("Selbstmotivation"),
- sich für Lernen selbst zu belohnen ("Selbstverstärkung"),
- Wissensquellen zu erschließen ("gewusst wo"),
- Wissensquellen zu erschließen und zu beurteilen,
- Wissen gedächtnismäßig zu behalten ("Memoriertechniken"),
- Wissen situationsgerecht anzuwenden und
- Probleme zu lösen.
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Erfahrungslernen 
Dienstag, 22 Januar, 2019, 19:49 - L
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"Erfahrungslernen" bezeichnet zum einen - neben "Modell-Lernen", "Lernen durch Einsicht" und "Lernen des Lernens" - eine der vier Grundformen des Lernens: die Form des Lernens, die auf eigener Erfahrung (z.B. durch Versuch und Irrtum) beruht.
Lerntätigkeit findet in bezug auf Personen und auf Gegenstände statt und führt zu als positiv ("Belohnungen") und negativ ("Strafen") empfundenen Rückwirkungen und Folgen. Der dabei durch geordnetes Erinnern an solche Tätigkeiten und durch Verknüpfungen mit früheren Erfahrungen gebildete persönliche Erfahrungszusammenhang dient als Grundlage späteren Lernens.
Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat didaktisches Handeln dem Erfahrungslernen ("Lernen durch eigenes Tun") erhebliche Bedeutung zuerkannt, besonders für das Lernen in frühen Lebensphasen, aber auch für frühe Phasen längerfristiger Kompetenzaneignung, in denen sinnliche und körperliche Erfahrung als Grundlage späterer Formen einsichtsvollen (theoretischen) Lernens dient.

Zum anderen bezeichnet Erfahrungslernen ein didaktisches Prinzip, das in den 1970er Jahren im englischen Sprachraum unter der Bezeichnung "experiential learning" entwickelt wurde, um Erwachsenen Zertifikate auf Grund von Lebens- und Berufserfahrung statt Hochschulbesuch zu erteilen.
(Flechsig: in CEDID)
Die Fähigkeiten, die ein Mensch bei seiner Geburt mit auf die Welt bringt,
reichen für sein künftiges Leben nicht aus. Seine angeborenen Wahr-
nehmungsschemata (z. B. die Fähigkeit, die Mutterbrust über den Mund-
kontakt zu identifizieren) und seine angeborenen Reflexe (z. B. der
Saugreflex oder der Greifreflex) erlauben ihm noch nicht einmal kurzfristiges
Überleben ohne fremde Hilfe. Dennoch sind diese dem Menschen gattungs-
mäßig überlieferten angeborenen Fähigkeiten ("Instinkte") die Grundlage
für den Erwerb aller folgenden Fähigkeiten, die er erlernen muß.

In den ersten Jahren ist die Hauptquelle aller Lernprozesse die eigene
Erfahrung. Dies gilt für die sehr frühen Lernprozesse wie z. B. das gezielte
Greifen nach einem Gegenstand. Es gilt für das geschickte Anfassen eines
sehr zerbrechlichen Objekts. Und es gilt für die richtigen Griffe auf einer
Gitarre. Mit fortschreitender Entwicklung und Differenzierung der einzelnen
Fähigkeiten wird dabei der Anteil der angeborenen Fähigkeiten immer kleiner,
der der erlernten Fähigkeiten immer größer.

Was aber heißt "eigene Erfahrung"? Im weitesten Sinne werden darunter
Austauschprozesse und Wechselbeziehungen verstanden, die ein Mensch
zu seiner Außenwelt aufnimmt, zu anderen Menschen, zu Objekten oder zu
Symbolen (wie z. B. Schriftzeichen). Solche Austauschprozesse verlaufen
in der Regel so, daß er über seine Sinnesorgane (Auge, Ohr, Nase)
Informationen aus der Außenwelt aufnimmt, diese in komplizierter Weise
verarbeitet und daraufhin über seine "ausführenden Organe" (z. B. Hände,
Füße, Sprechorgan) seinerseits auf seine Umwelt einwirkt. Bei diesem auch
als "Tätigkeit" bezeichneten Prozeß der Wechselbeziehung von Mensch
und Umwelt werden Erfahrungen gemacht, wenn es sich um zielgerichtete
Tätigkeiten handelt, die Spuren im Gedächtnis hinterlassen. Die Art und die
Häufigkeit der Tätigkeiten bestimmt deshalb den Aufbau der Erfahrung.
Vorausgegangene Erfahrungen bestimmen ihrerseits künftige Zielsetzungen
und Erwartungen und damit künftige Erfahrung.

Wechselwirkung und Kontinuität sind somit die Grundbedingungen des
Lernens durch eigene Erfahrung: Ein Lerner muß mit seiner Außenwelt in
ein Verhältnis von Wechselwirkung eintreten. Und das Ergebnis dieser
Wechselwirkung muß von ihm so verarbeitet werden, daß es die Grundlage
für darauffolgende Prozesse werden kann.

Lernen durch eigene Erfahrung ist ein hochkomplexer Prozeß. Insofern
gibt es nicht nur eine Theorie, die sich darum bemüht, ihn zu erklären.
In der neueren Psychologie gibt es mindestens drei, teils konkurrierende,
teils komplementäre Theorien des Lernens durch eigene Erfahrung:

- Die Theorie des bedingten Reflexes (bzw. des respondenten Lernens),
deren Hauptvertreter A. PAWLOW (1849 - 1936) ist.

- Die Theorie des Kontiguitätslernens, als deren früher Hauptvertreter
E. A. GUTHRIE (1886 - 1959) gilt.

- Die Theorie des operanten Lernens (auch "instrumentelles Lernen"
oder "Lernen durch Verstärkung" genannt), deren Hauptvertreter B. F.
SKINNER (geb. 1904) ist.

WICHTIGE ZITATE:

"Es gibt viele Tätigkeiten, die von jedermann übereinstimmend zu
den Beispielen für Lernprozesse gezählt werden: etwa die Aneig-
nung eines Wortschatzes, das Einprägen eines Gedichtes, der Er-
werb von Fertigkeiten im Maschinenschreiben usw. Es gibt aber
auch nicht gleich so offenkundig dazugehörige Tätigkeiten, die
man doch ebenfalls leicht als gelernt identifizieren kann, nach-
dem man sie genauer betrachtet hat. Hierunter fallen die Entste-
hung von Vorurteilen, Neigungen und anderer sozialer Einstel-
lungen und Ideale einschließlich jener zahlreichen Verhaltenswei-
sen, die an der sozialen Wechselwirkung der Menschen untereinan-
der beteiligt sind. Schließlich kennen wir noch eine Anzahl von
Aktivitäten, deren Erlernen man gewöhnlich nicht als vorteilhaft
oder als einen Fortschritt bezeichnen kann, weil sich der Nutzen,
sofern es ihn überhaupt gibt, nicht unmittelbar aufweisen läßt.
Hierzu gehören etwa Zuckungen der Gesichtsmuskulatur, Besonder-
heiten des Auftretens und autistische Gebärden.

Eine solche Aufzählung von Beispielen für Lernprozesse eignet
sich sehr gut dazu, einer Definition näherzukommen. Tatsächlich
ist es nämlich sonst außerordentlich schwierig, eine allseitig
zufriedenstellende Definition zu formulieren. Wir sind zwar na-
türlich zunächst versucht, Lernen als Übungsfortschritt oder als
Nutzung von Erfahrung zu definieren, doch wissen wir auch recht
gut, daB manches Lernen keine Verbesserung erbringt, daß gar
seine Folgen uns als nicht wünschenswert erscheinen. Wenn man das
Lernen andererseits schlechthin als Veränderung bei Wiederholung
beschreibt, so kann man es leicht mit Wachstum, Ermüdung und
allen anderen Veränderungen verwechseln, die sich im Laufe von
Wiederholungen ergeben können. Die folgende Definition sei zu-
nächst nur als vorläufig angeboten:

Lernen ist der Vorgang, durch den eine Aktivität im Gefolge
von Reaktionen des Organismus auf eine Umweltsituation ent-
steht oder verändert wird. Dies gilt jedoch nur, wenn sich
die Art der Aktivitätsänderung nicht auf der Grundlage ange-
borener Reaktionstendenzen von Reifung oder von zeitweiligen
organismischen Zuständen (z. B. Ermüdung, Drogen usw.) erklä-
ren läßt.

Diese Definition kann wegen der darin enthaltenen Unbestimmthei-
ten nicht voll befriedigen. Immerhin kann sie uns aber auf die
Problematik einer jeden Definition des Lernens aufmerksam machen:
Eine Definition muß zwischen zwei Gruppen von Phänomenen ein-
schließlich ihrer Vorbedingungen unterscheiden, nämlich jenen
Arten von Veränderungen, die man als "Lernen" bezeichnen sollte,
und jenen, die nicht unter den Begriff Lernen fallen."

Quelle: E. R. Hilgard u. G. H. Bower, Theorien des Lernens I,
Stuttgart 1970, S. 16.

_________________________________________________________________

Eine Erfahrung machen

"Erfahrungen werden ständig gemacht, denn die Interaktion von
lebendigem Geschöpf und Umwelt ist Teil des eigentlichen Lebens-
prozesses. Unter den Bedingungen von Widerstand und Konflikt
statten die in dieser Interaktion enthaltenen Aspekte von Ich und
Welt die Erfahrung mit Empfindungen und Vorstellungen aus, so daß
ein bewußter Plan in Erscheinung tritt. Oftmals jedoch bleibt die
gemachte Erfahrung unvollständig. Man erfährt die Dinge, fügt sie
aber nicht zu einer Erfahrung zusammen. Es herrschen Trennung und
Auflösung. Was wir beobachten und was wir denken, was wir erseh-
nen und was wir erlangen, steht nicht miteinander im Einklang.
Wir machen uns an die Arbeit und halten inne; wir beginnen und
brechen ab - nicht etwa, weil das Ziel der Erfahrung, um dessent-
willen sie begonnen wurde, erreicht wäre, sondern wegen äußerer
Unterbrechungen oder innerer Lethargie.

Im Gegensatz zu solcher Art von Erfahrung machen wir eine Erfah-
rung, wenn das Material, das erfahren worden ist, eine Entwick-
lung bis hin zur Vollendung durchläuft. Dann, und nur dann, ist
es in den Gesamtstrom der Erfahrung eingegliedert und darin
gleichzeitig von anderen Erfahrungen abgegrenzt. Eine Arbeit wird
zufriedenstellend abgeschlossen; ein Problem findet eine Lösung;
ein Spiel wird bis zum Ende durchgespielt; eine Situation ist
derart abgerundet, daß ihr Abschluß Vollendung und nicht Abbruch
bedeutet - sei es nun, daß es sich um das Einnehmen einer Mahl-
zeit handelt oder um eine Partie Schach, um ein Gespräch oder
darum, daß man ein Buch verfaßt oder an einer politischen Aktion
teilnimmt. Eine solche Erfahrung bedeutet ein Ganzes, sie be-
sitzt ihre besonderen, kennzeichnenden Eigenschaften und eine
innere Eigenständigkeit. Sie ist eine Erfahrung."

"In unterschiedlichen Erfahrungen - mögen sich ihre Gegenstände
im einzelnen noch so wenig ähneln - finden sich daher gemeinsame
Grundmuster. Man trifft auf Voraussetzungen, ohne die sich keine
Erfahrung bilden kann. Der Grundzug dieses gemeinsamen Musters
ergibt sich aus der Tatsache, daB jede Erfahrung das Resultat von
Interaktion zwischen dem lebendigen Geschöpf und einem bestimmten
Aspekt der Welt, in der er lebt, darstellt. Ein Mensch tut etwas
- nehmen wir an, er hebt einen Stein auf. Folglich widerfährt
ihm, erleidet er etwas: Gewicht, Druck, Struktur und Oberfläche
des aufgehobenen Gegenstandes. Die so erfahrenen Eigenschaften
bestimmen das weitere Handeln. Der Stein ist zu schwer oder zu
kantig, oder er ist nicht hart genug; es kann aber auch sein, daß
die erfahrenen Eigenschaften zeigen, daß er sich für den beab-
sichtigten Zweck eignet. Dieser Prozeß setzt sich so weit fort,
bis eine gegenseitige Anpassung von Selbst und Objekt erkennbar
wird und jene besondere Erfahrung ihren Abschluß findet. Was für
diesen einfachen Sachverhalt zutrifft, gilt, was die Form angeht,
für jede Erfahrung. Das handelnde Subjekt kann auch ein Geistes-
arbeiter in seinem Studierzimmer sein, und die Umgebung, mit der
er sich in Interaktion befindet, kann statt aus einem Stein, aus
Gedanken bestehen. Es ist jedoch die beiderseitige Wirkung, die
die Summe der gemachten Erfahrung bestimmt, und der sie vollen-
dende Schluß besteht in der Erlangung einer spürbaren Harmonie.

Eine Erfahrung ist nicht deshalb geordnet und strukturiert, weil
sie aus dem Wechsel von Handeln und Hinnehmen besteht, sondern
weil sich beides in einer Beziehung zueinander befindet. Hält
man die Hand ins Feuer, so daß sie verbrennt, bedeutet dies nicht
unbedingt, daß man eine Erfahrung macht. Eine Handlung und ihre
Folge müssen in der Erkenntnis miteinander in Verbindung gebracht
werden. Erst durch dieses Verhältnis gibt es einen Sinn. Es zu
erfassen ist der Gegenstand aller Intelligenz. Tragweite und
Inhalt der Beziehungen bestimmen die inhaltliche Bedeutung einer
Erfahrung."

Quelle: John Dewey, Kunst als Erfahrung (1934), Frankfurt 1980,
S.47 und S. 56 f.

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DREI THEORIEN DES LERNENS DURCH EIGENE ERFAHRUNG

Respondentes Lernen (klassisches Konditionieren)

"Eine der grundlegenden Lernformen stellt das respondente Lernen
dar, das auch klassische Konditionierung genannt wird. Bei diesem
Lernen wird eine Reaktion durch einen bekannten Reiz ausgelöst.
.....
Einige der deutlichsten Beispiele für respondentes Lernen sind
die Konditionierungsstudien des berühmten russischen Physiologen
Iwan Pawlow. Eine kurze Zusammenfassung dieser historischen Un-
tersuchungen wird uns helfen, einige terminologische Grundbegrif-
fe zu klären.

Einem Hund wird ein wenig Fleischpulver gegeben: Seine Speichel-
drüsen beginnen zu arbeiten, während er frißt. Das Fleischpulver
ist ein sogenannter unkonditionierter Stimulus (US), und der
einsetzende Speichelfluß ist eine sogenannte unkonditionierte
Reaktion (UR). Das Auftreten dieser Reaktion auf die Darbietung
des Reizes ist nicht erlernt, es erfolgt instinktiv.

Jetzt schalten wir in der Gegenwart des Hundes ein Licht ein. Das
Einschalten des Lichts hat keine oder nur eine minimale Wirkung
auf den Speichelfluß des Hundes. Als nächstes schalten wir nun
das Licht ein, kurz bevor wir dem Hund das Fleischpulver (US)
geben. Wenn wir dies häufiger nacheinander tun, und dann, in
einem bestimmten Versuchsdurchgang, nur noch den Lichtreiz dar-
bieten, ohne gleichzeitig Fleischpulver zu verabreichen, werden
wir dennoch die Speicheldrüsen-Reaktion bemerken, das Licht, ein
zu konditionierender Stimulus, kann, nach mehreren Assoziationen
mit dem Fleischpulver, im Organismus eine Reaktion hervorrufen,
die jener sehr ähnlich ist, die ursprünglich bei der Verabrei-
chung des Fleischpulvers allein auftrat. Das Licht, zuvor ein
neutraler Stimulus, ist so ein konditionierter Stimulus (CS)
geworden, und die Reaktion, die er hervorruft, ist dementspre-
chend eine konditionierte Reaktion (CR). Abb. 6-1 zeigt die
Beziehung zwischen diesen Begriffen.

In der oben beschriebenen Situation hat sich Verhalten als Resul-
tat von Erfahrung ver{ndert. Gehen wir also von den Hunden über
zu den Menschen und verwenden wir dieses Modell von Lernen in
allgemeinerer Form. Die unkonditionierte Stimulus-Reaktions-
Verbindung, so läßt sich sagen, vollzieht sich immer dann, wenn
ein Stimulus (US) eine Funktion auslöst oder eine emotionale
Reaktion (UR) hervorruft - wie zum Beispiel Angst, Ärger, Erbre-
chen, Abscheu; oder auch angenehme Gefühle, Freude, Glück und
überschäumende Begeisterung. Wenn wir einen zuvor neutralen Reiz
mit dem unkonditionierten Stimulus verbinden, so wird er zu einem
konditionierten Stimulus und es erfolgt die Entwicklung einer
konditionierten Reaktion (wie Angst oder Freude) beim Auftreten
dieses Reizes (auch ohne das Auftreten des unkonditionierten
Stimulus)."


Kontiguitätslernen

"Wir haben festgestellt, daß die Kopplung von unkonditioniertem
Stimulus und konditioniertem Stimulus ein Teil der Voraussetzung
für respondentes Lernen ist. Einige Lerntheoretiker gehen davon
aus, daB sogar nur eine einfache Kopplung von Ereignissen, gleich
welcher Natur, ein Lernen hervorrufen kann. Hierbei ist nicht
notwendig, daß eine unkonditionierte Stimulus-Reaktions-Verbin-
dung besteht. Eine bloße kontingente, enge Assoziation von Stimu-
lus und Reaktion kann zu einer Verhaltensveränderung führen (kon-
tingent heißt hierbei in einem räumlich-zeitlichen Zusammenhang
stehen). Die Bedeutung des einfachen Kontiguitätslernens kann
daran ermessen werden, wenn man einmal auf diese unvollständigen
Feststellungen antwortet:

Aus einer Mücke einen ......... machen.
Er lügt wie ........
Zwei plus zwei ist ....
Neun mal fünf ist ..............
Der Duft der großen weiten Welt: .................

Das letzte Beispiel war Teil einer Werbungskampagne für Zigaret-
ten. Dabei wurde zuerst der gesamte Satz gesprochen und, nach
einer musikuntermalten Pause, der Anfangsteil wiederholt. Unter
diesen Bedingungen konnten die meisten Menschen gar nicht anders,
als zu sich selbst zu sagen: 'Stuyvesant'. So wurde durch eine
einfache Assoziation der gewünschte Lerneffekt hervorgerufen. Die
anderen Beispiele, bei denen Sie "Elefant", "gedruckt", "vier",
"fünfundvierzig" eingesetzt haben, zeigen, wie wir etwas einfach
deshalb lernen, weil Ereignisse oder Stimuli zeitlich sehr eng
aufeinanderfolgen. Manchmal ist eine Wiederholung des Ereignisses
notwendig, aber manchmal stellt sich ein Lernerfolg auch bereits
beim ersten Versuch ein. Festzuhalten ist, daß wir hier keine
unkonditionierten Stimulus-Reaktions-Verbindungen voraussetzen
müssen. Wir haben den Begriff "Verstärkung" (der weiter unten
besprochen wird) noch nicht erwähnt, mit dessen Hilfe wir Konti-
guitätslernen näher beschreiben könnten. Wir wollen hier ganz
einfach feststellen, daß Menschen ihr Verhalten ändern können als
Resultat einer Erfahrung von zwei Ereignissen, die miteinander
gekoppelt sind."


Operantes Lernen (instrumentelles Lernen; Lernen durch Verstär-
kung)

"Lernen als ein Ergebnis von Verstärkung - ein weiterer grundle-
gender Lerntypus - hat sich weitgehend in der Methode der Verhal-
tensmodifikation durchgesetzt. Diese Art von Lernen heißt "ope-
rantes" oder "instrumentelles" Lernen, weil hierbei die Reaktion
eines Individuums "operativ" oder "instrumentell" für das Auftre-
ten einer Verstärkung (Reinforcement) ist, das heißt, das uns
hier interessierende Verhalten wirkt derart auf die Umwelt ein,
daß es zu einer Verstärkung dieses Verhaltens kommt. Im Unter-
schied zu dem oben beschriebenen respondenten Lernen werden Reak-
tionen im operanten Lernen nicht durch irgendeinen bekannten
Stimulus ausgelöst, sondern sie werden von einem Individuum spon-
tan produziert, "emittiert". Die möglichen "Emissionsreize" sind
hierbei unbekannt und für den Lernproze~ irrelevant. Von Interes-
se ist hier nicht der Zusammenhang zwischen auslösenden Reizen
und ausgelöster Reaktion wie im respondenten Lernen, sondern der
Zusammenhang zwischen einem spontan produzierten Verhalten und
der Konsequenz dieses Verhaltens in der Form einer Verstärkung
für ein Individuum; Verstärkung als Konsequenz eines Verhaltens
ist die entscheidende Variable beim operanten Lernen. Verhalten,
auf das als Konsequenz ein Ereignis eintritt, das verstärkend
wirkt, wird "bekräftigt". Ein Verhalten, das derart verstärkt
worden ist, zeigt die Tendenz, in einem erhöhten Umfang, mit
einer größeren Häufigkeit oder Wahrscheinlichkeit aufzutreten.

Da Ereignisse, die verstärkend wirken, überaus wichtige Verhal-
tenseffekte hervorrufen können, müssen wir eine genaue Definition
von "Verstärker" finden. Als einen Verstärker wollen wir jedes
Ereignis oder jeden Stimulus bezeichnen, der die Auftretenswahr-
scheinlichkeit eines Verhaltens erhöht.
.....
Das einfachste Beispiel für operantes Konditionieren ist das
einer Ratte in der sogenannten Skinner-Box (benannt nach B. F.
Skinner, dem Psychologen, der als erster operantes Konditionieren
identifiziert und eine solche Box bei der experimentellen Unter-
suchung von operanten Lernprozessen verwendet hat). Die Skinner-
Box ist ein allseitig geschlossener kleiner Kasten, fast ohne
Ausstattung, der nur mit einem Freßnapf und einem Hebel versehen
ist. Wenn eine hungrige Ratte zum erstenmal in diesen Kasten
gesetzt wird, zeigt sie eine große Anzahl von spontan produzier-
ten Reaktionen, oder auch operante: Sie stellt sich auf die
Hinterbeine, schnüffelt herum, versucht, an den Wänden hinaufzu-
klettern usw. Schließlich drückt sie auch, mehr oder weniger
zufällig, auf den Hebel. In der Folgezeit drückt sie noch einmal
darauf; vielleicht noch einmal. Die Häufigkeit, mit der die Ratte
unter diesen Bedingungen, wo keinerlei Verstärkung als Konsequenz
ihres Verhaltens auftritt, auf den Hebel drückt, liefert eine Art
Grundlinie (base line), das sogenannte "operante Ausgangsniveau",
dieses Ausgangsniveau drückt die Häufigkeit eines spontan produ-
zierten Verhaltens vor dem Einsetzen einer operanten Konditionie-
rung aus."

Quelle: N. L. Gage und D. C. Berliner, Pädagogische Psychologie,
Band 1, München 1972, S. 81/82, S. 85, S. 87/88

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