Informationen für Forscher

Hier sollen Informationen über Lernstile zusammengestellt werden, die für Personen in Forschungseinrichtungen von Interesse sein können.

Metastudie

Eine umfangreiche Metastudie (von Coffield u.a*.) zu Modellen und Instrumenten über Lernstile existiert erst seit 2004, ihr Fazit: erhebliche Zweifel an Qualität und Aussagekraft der vorliegenden Forschungen und Anwendungen sind angebracht. Dennoch wird auch hier ebenso deutlich, wie vielfältig in der Literatur die Auffassung erkennbar ist, dass unterschiedliche Lernstile existieren und Berücksichtigung finden sollten. Es ist deshalb naheliegend, nach neuen Verfahren der Diagnostik und Berücksichtigung in Lehr- und Lernpraxis zu suchen, Modelle gibt es genug.

* Coffield, F., Moseley, D., Hall, E., Ecclestone, K. (2004). Learning styles and pedagogy in post-16 learning. A systematic and critical review.London: Learning and Skills Research Centre

Didaktische Vielfalt -Individuelle Lernstile

Didaktische Vielfalt: Lernen

Ein wesentliches Motiv für die Überzeugung vom Sinn didaktischer Vielfalt ist in der historischen, kulturellen und interindividuellen Diversität des Lehrens und Lernens begründet: Menschen haben zu verschiedenen Zeiten und in ihren jeweiligen kulturellen Orientierungen unterschiedliche didaktische Grundmuster herausgebildet; frühere Versuche, vor allem mittels empirischer Unterrichtsforschung einen didaktischen "Königsweg" zu finden, sind fallengelassen worden angesichts sich zunehmend durchsetzender Überzeugung, dass insbesondere die spezifischen Kompetenzen, die erworben werden sollen, und die persönlichen Voraussetzungen von Lernerinnen und Lernern unterschiedliche Zugangsweisen erfordern. Wer heutzutage eine didaktische Praxis empirisch auf ihre Wirkungen hin untersucht, ist gut beraten, die Zufriedenheits- und Lernerfolgsdaten der Lerner und Lernerinnen auch daraufhin zu untersuchen, ob nicht Heterogenität vorherrscht, einige also sehr gut lernen oder sehr zufrieden sind, andere aber gerade nicht.

Schon bei der Entwicklung des CEDID/CEWID-Systems war die Überzeugung ausschlaggebend für die Programmgestaltung, dass Menschen unterschiedliche Lern- und Arbeitsstile aufweisen, die man nicht "wegbügeln" dürfe. Ein Modell von G. PASK war dabei eine Leitlinie für die konzeptionellen Überlegungen; dieses Modell steht im Kontext verschiedener Ansätze zur Entwicklung von Lernertypologien (vgl. HALLER 1992) und weist zwei Grundformen auf:

·         holistische (ganzheitlich, am Wechsel von Konkretion und Abstraktion orientierte)

·         und serialistische (Schritt-für-Schritt, aus Konkretionen allmählich Abstraktionen aufbauende) Lernstile.

 

Holistische Lernende verfolgen einen globalen, ganzheitlichen Ansatz bei der Aufgabenlösung und nutzen eine top-down-orientierte Vorgehensweise. Dies bedeutet, dass sie sich zuerst ein Gesamtbild von einer Sache verschaffen und sich auf komplexe Themenzusammenhänge und weite Gesichtspunke konzentrieren, bevor sie in die Details gehen. Sie legen großen Wert darauf, den Überblick zu bewahren, prüfen stets mehrere Aspekte gleichzeitig und betonen mögliche Analogien. Dadurch entwickeln sie viele eigene Gedanken und Ideen zum Lernstoff oder auch darüber hinausgehend. Der holistische Lernprozess ist zudem durch einen ständigen Wechsel zwischen konkreten und abstrakten Aspekten geprägt.

Serialistische Lernende gehen stattdessen Schritt für Schritt vor und lernen bottom-up-orientiert. Dies bedeutet, dass sie sich zuerst mit den konkreten Einzelaspekten eines Sachverhalts befassen und sich sukzessive in kleinen und folgerichtigen Schritten einem Gesamtverständnis annähern. Erst wenn sie einen Aspekt verstanden haben, wenden sie sich dem nächsten zu. Eine vorausgehende Aufgabe muss abgeschlossen sein, bevor die nächste Aufgabenstellung in Angriff genommen wird. Serialistische Lernende achten sehr stark auf die Details einer Sache und gehen vom Konkreten zum Abstrakten. Aufgrund geringerer Fähigkeiten zur Analogiebildung lernen sie die verschiedenen Lerndetails getrennt voneinander und memorieren dadurch unverbundene kleine Wissensinseln. Es konnten ihnen auffällig gute Gedächtnisleistungen nachgewiesen werden.

Für die Gestaltung von Lern- und Arbeitsprogrammen auf PCs leitet sich aus den Erfahrungen von PASK, dass Serialisten kaum in der Lage sind, mit holistisch konzipierten Programmen umzugehen, während Holisten bedingt und Vielseitige ("versatiles", die kontextabhängig beide Lernstile anwenden können) problemlos auch mit serialistischen Programmen umgehen können, die Forderung ab, einerseits eine "serialistische Basis" zu ermöglichen, andererseits auch "holistische Möglichkeiten" zu eröffnen. In CEWID ist diese Forderung durch die Abgrenzung zwischen operativem Wissen (das in der Regel eher serialistisch angeordnet werden dürfte) und Hintergrundwissen (dessen Nutzung nach eigenem Ermessen vor allem den holistischen Bedürfnissen entgegenkommen kann) aufgegriffen worden. Diese Abgrenzung stellt zugleich eine Balance zwischen einer statischen (Hintergrundwissen, auch: deklaratives Wissen) und einer dynamischen (operatives Wissen) Komponente des Systems dar.

Inzwischen haben verschiedene darstellungs- und nutzungstechnische Möglichkeiten u.a. dazu geführt, dass der Aktionsradius der Lerner und Lernerinnen erweitert worden ist; so das System der Verknüpfung von Dokumenten („hyperlinks“) oder ikonische (bild- und symbolhafte) Repräsentationen von Kontroll- und Schaltelementen, mit denen in Lernprogrammen Abläufe gesteuert werden können. Dies lässt sich unter dem Sammelbegriff „Navigation“ fassen. Unter didaktischen Gesichtspunkten ist diese Entwicklung ebenso als ein Meilenstein anzusehen wie die spätere umfängliche und leicht verfügbare Vernetzung durch das Internet.

Von Interesse ist nun festzustellen, inwieweit die vielfältigen modernen Möglichkeiten der Navigation in computergestützten Lernprogrammen ein differenzierteres Lernverhalten stützen oder gar entwickeln helfen, als das vor Jahren noch mit den vornehmlich Schritt-für-Schritt vorgehenden Programmen der Fall war.

Im Rahmen dieser Forschungen wird der kognitive Lernstil als Disposition oder Neigung definiert, eine spezifische Lernstrategie übersituativ zu verwenden. Der individuelle Lernstil ist dem Strategiegebrauch gewissermaßen vorgeschaltet und bestimmt, welche Strategie habituell verwendet werden soll.

Mischformen werden als versatiler Lernstil bezeichnet.

In einer empirischen Untersuchung des Lernverhaltens von Studierenden (N=50) mit solchen Programmkomponenten konnte SCHULZ-WENDLER (2001) feststellen, dass

·         beide Lernstile in der Population vertreten waren, und zwar in eindeutiger Ausprägung beim konkreten Verhalten 10% serialistisch und 12% holistisch, sowie vorwiegend serialistisch 44% und vorwiegend holistisch 24%; demgegenüber in einer Selbsteinschätzung aber nur 14% insgesamt serialistisch und 12% insgesamt holistisch;

·         10% der Lernenden im konkreten Verhalten als versatil (wechselnd) einzustufen waren, aber 74% bei einer Selbsteinschätzung;

·         einem serialistischen Lernstil das Bedürfnis nach Steuerung durch ein vorgegebenes System entsprach;

·         einem holistischen Lernstil das Bedürfnis nach Selbststeuerung entsprach;

·         es zwar hinsichtlich operativem und deklarativem Wissen überwiegend den Lernstilen entsprechende Vorgehensweisen gab, dennoch einige Lerner oder Lernerinnen das in Form eines Lexikons alphabetisch geordnete Hintergrund als Serialisten stur von vorn nach hinten durcharbeiteten, also sogar eine alphabetische Reihenfolge als Systemsteuerung schätzten.

Am letzten Punkt ist anzusetzen, wenn man einen praktischen Nutzen dieses Modells, aber auch der Lernstilforschung generell für die Gestaltung von webbasierten Lernprozessen sucht. Die Entwicklung dieses Parts (Hintergrundwissen) wird allgemein sträflich vernachlässigt, meistens findet man nur Glossare mit kurzen Definitionen.

Stattdessen wird eher noch versucht, die unterschiedlichen Lernwege im operativem Teil auszudifferenzieren. Da muss dann immer wieder ein Modell zugrundegelegt werden, aufgrund von Typologien die Verschiedenartigkeit vorprogrammiert „bedienen“ zu können.

Wäre es nicht hingegen einfacher (und angesichts des noch immer nicht sehr elaborierten Standes der Lernstilforschung auch angemessener), man gäbe im operativen Teil mit geringfügigen Ausdifferenzierungen (Verzweigungen) dem serialistischem Lernweg seine Entfaltungsmöglichkeit und würde durch klug entwickelte vielfältige Hintergrundangebote dem holistischem Lerner (der sich ja sein „Menü“ eh gern selbst zusammenstellt) Appetit auf eine Erkundungsreise machen? Und vielleicht wagt sich der Serialist ja auch einmal dahin, kann er doch sicher sein, immer wieder auf den Boden seiner serialistischen Basis zurückkehren zu können. Und für denjenigen unter den Holisten, den PASK den (unvorsichtigen, überschnell generalisierenden, nicht auf dem soliden Boden der Tatsachen sich gründenden) „globetrotter“ nennt,  würde umgekehrt die serialistische Basis das Korrektiv der konkreten Anforderungen darstellen.

Ein Vorschlag zur Überwindung einer nur alphabetischen Ordnung des Hintergrundwissens ist dessen Gliederung nach:

·         Definitionen,

·         Erläuterungen,

·         Beispielen,

·         Formularen,

·         Regeln/Regulationen/Gesetzen,

·         Algorithmen/Operationen,

wobei aber den Autoren andere Gliederungen freigestellt sein sollten.

 

Das wären nun zwei Lernwege, die vorbereitet und angeboten werden. Unsere Untersuchungen zeigen, dass beide ihre Nutzer finden.

 

 

Zur wissenschaftlichen Diskussion über Lernstile als individuellen Komponenten des Lernens

Der erste Ausgangspunkt unserer Fragestellungen ist die in einigen Ländern und ihrer didaktischen Forschung (insbesondere in den USA, Großbritannien, Schweden und Australien) seit etwa 1970 verstärkt auftretende Sichtweise von individuellen Unterschieden im Lernverhalten von Menschen. In der Erforschung des menschlichen Lernens, die zu der Zeit auf ca. 100 Jahre moderner Forschungsgeschichte zurückblicken konnte, war zunächst der Versuch der nomothetischen Aussage (allgemeingültige Gesetzlichkeit) vorherrschend; seien es die physio-psychologischen Untersuchungen von Wundt, die Experimente von Ebbinghaus zu Gedächtnisleistungen, die Variationen des Schreib- und Leseunterrichts bei Lay, später die großen Methodenexperimente (z.B. im Hochschulunterricht der Vergleich zwischen Vorlesungs- und Seminarmethode) etc.: immer ging es um die Suche nach dem „Königsweg“, d.h. der einen bestimmenden Einflußgröße und ihrer Verbesserung. Gelegentlich waren dabei schon Gesichtspunkte zu idiosynkratischen Phänomenen (voherrschende Eigentümlichkeiten) aufgetaucht, so z.B. bei Meumann der Hinweis auf unterschiedliche Sinnestypen (Menschen, die stärker visuell orientiert seien, würden entsprechende Lehrangebote bevorzugen, andere Menschen auditive Reize). Ein neues Paradigma der Lehr/Lernforschung entstand dann aber erst Ende der 60er Jahre. Vor allem die Untersuchungen über Reflexivität vs. Spontaneität im Verhalten von Kindern scheinen dabei zunächst eine Rolle gespielt zu haben. Unter der Bezeichnung „ATI-Forschung" (Aptitude-Treatment-Interaction) wurden vielfältige Versuche zusammengefaßt, die bestimmenden Merkmale in solchen Idiosynkrasien ausfindig zu machen. Es ging also nicht um eine konsequent phänomenologische, d.h. die Eigentümlichkeiten der Individuen diversifiziert belassende Betrachtungsweise, sondern -gewissermaßen als Zwischenstation zur Nomothetik- um möglichst „handfeste" Typologien, mit denen dann wiederum gestaltende Interventionen begründet werden konnten.

Menschen lernen unterschiedlich und auch im Verhältnis zu Lehrenden entwickeln sich unterschiedliche kognitive Bezüge. Wenn eine Bildungseinrichtung dies gestattet, wie in Teilen an der Hochschule, die ungleich mehr als Schulen den Lernenden die Wahl von Lehrenden ermöglicht, entwickeln sich dadurch Passungsverhältnisse. Die Frage ist nur, ob sie im wesentlichen kognitiv bestimmt sind und dieses gewissermaßen in einem freien Markt geschieht und so bleiben sollte, oder ob solche (kognitiven) Passungen zwischen Lehrenden und Lernenden gezielt erreicht werden können und sollten. Zur weiteren Behandlung dieser Frage bedarf es zunächst einmal genauerer Kenntnisse über die Art solcher Passungen sowie über die ihnen zugrundeliegenden kognitiven Muster, eigentlich auch (aber das wäre ein sehr aufwendiges Unterfangen) über deren Entstehungsbedingungen.

Der ATI-Ansatz selbst war offensichtlich bald schon nicht mehr handhabbar, weil solche Ausdifferenzierungen (aufgrund der immer neuen Korrelationen [Wechselbeziehungen], die gefunden wurden) letztlich zurück zur totalen idiosynkratischen Betrachtungsweise führen mussten: Es ist dann eben doch jedes Kind, jeder oder jede Lernende ein singulärer Fall und müßte entsprechend individuell belehrt (und beschult) werden.

Der wenig später als die ATI-Forschung einsetzende Ansatz von Lernstiluntersuchungen ging von vornherein aus von entweder additiven oder systematischen Typologien. Zu den ersteren gehört eine Auflistung von  Barbara und Louis Fischer: „Zuwachslerner“, „intuitive Lerner“, „Sinnespezialisten“,  „Sinnesgeneralisten“, „emotionell Beteiligte“ (FISCHER/FISCHER 1968). Eine der wenigen Untersuchungen aus der Bundesrepublik (SCHRADER 1994) legte ebenfalls eine additive Typologie vor, und zwar bezogen auf Erwachsene in der beruflichen Weiterbildung („Theoretiker“, „Anwendungsorientierte“, „Musterschüler“, „Gleichgültige“ und „Unsichere“). Zu den letzteren gehören die Modelle von KOLB (erstmals 1972) und PASK (1976).

Das Modell von Pask geht von einem dualistischen Ansatz aus und unterscheidet nach der Art und Weise des Entwicklungsverlaufs im Hinblick auf Abstraktionen aus konkreten Erfahrungen und Einzelheiten zwischen Serialisten (die stufenweise aus Konkretionen zu Abstraktionen gelangen) und Holisten (die laufend zwischen Konkretionen und Abstraktionen interferieren) sowie Versatilen, die (wohl kontextbezogen) beide Muster anwenden können. Besonders interessant ist die Feststellung, dass Holisten notfalls auch mit serialistischen Lehrangeboten zurechtkommen, während Serialisten bei holistischen Angeboten Probleme haben.

Einen besonderen Ansatz stellt das Kolbsche Modell dar, weil es unter Rückgriff auf Intelligenz- und Kreativitätsforschung sowie das Piagetsche Assimilations-/Akkomodationsmodell 4 Grundkomponenten („Konkrete Erfahrung“, „Reflektiertes Beobachten“, „Abstrakte Begriffsbildung“ und „Aktives Experimentieren“) zu 2 bipolaren Dimensionen ordnet, so dass sich 4 Grundtypen ergeben: „Divergierer“ (mit Neigungen zu „Konkreter Erfahrung“ und „Reflektiertem Beobachten“), „Assimilierer“ (mit Neigungen zu „Reflektiertem Beobachten“ und „Abstrakter Begriffsbildung“), „Konvergierer“ (mit Neigungen zu „Abstrakter Begriffsbildung“ und „Aktivem Experimentieren“) sowie „Akkomodierer“ (mit Neigungen zu „Aktivem Experimentieren“ und „Konkreter Erfahrung“). Aus den bisherigen Erfahrungen in der Verwendung  speziell dieses Instrumentes zur Erfassung individueller Lernstile ist zweierlei hervorzuheben; zum einen in den USA festgestellte Affinitäten zu Studien- und Berufswahlen, zum anderen die Vermutung, dass zwischen Personen in diametralen Positionen des Kolbschen Modells („Konvergierer“ zu „“Divergierern“ und „Assimilierer“ zu „Akkomodierern“) kognitive Konflikte auftreten können, was sich z.B. in Gruppenarbeit oder zwischen Lehrenden und Lernenden als Störung bemerkbar machen kann (wofür wir  in begleitenden nicht-standardisierten Gruppeninterviews tatsächlich immer wieder Bestätigungen finden konnten, vgl. GABRIEL/HALLER 1982).

Inwieweit nun ergibt sich aus solchen Typologien und ihren Anwendungen als diagnostischen Instrumentarien ein Vorteil für die Lernenden? Gehen wir davon aus, dass zunächst einmal ein gewisses Mindestmaß von Validität und Reliabilität für diese Instrumentarien gewährleistet ist, woran nach einer faktoriellen Vergleichsuntersuchung mehrerer Instrumente von FERRELL(1983) bereits Zweifel bestehen.  In der Regel weisen solche Typologien etwa 4 bis 6 Grundmuster auf. Die Konsequenz daraus ist dann logischerweise eine Zuordnung der Individuen zu einem dieser 4 bis 6 Typen. Es ist nun nicht vorstellbar (und sicherlich auch nicht sinnvoll), eine solche Typologie zur Grundlage einer didaktischen Planung dergestalt zu machen, dass jeweils Lernende eines Typus’ „zusammengestellt“ oder typuspassende Lehrende und Lernende einanderzugeordnet würden. Vielmehr zeigen die Erfahrungen aus einem spezifischen Einsatz solcher Instrumente, wie wir ihn seit nunmehr 15 Jahren praktizieren, dass mit ihnen eine Reflexionsdynamik ausgelöst werden kann, die bei den Betreffenden zu Überlegungen darüber führt, wie sie gewohnt sind zu lernen, welche Vorlieben und Abneigungen sie haben, welches ihre besonderen Strategien und Techniken sind, welche kognitiven Muster (z.B. in der Abfolge von Konkretion und Abstraktion) dabei für sie eine Rolle spielen, etc. Durch den Nachweis von Unterschieden und deren Legitimsetzung setzt diese Reflexionsdynamik sich in der Überlegung fort, dass andere Menschen ja andere Lerngewohnheiten haben, andere Vorlieben und Abneigungen aufweisen, andere Strategien und Techniken bevorzugen, andere kognitive Muster suchen, etc. Entscheidend im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit für die fortdauernde Übernahme von Lernmustern, die in solchen Metadiskussionen als sinnvoll und hilfreich bewertet werden, dürfte dabei deren Bestätigung „im tatsächlichen Leben“ sein, d.h. der daraus resultierende bessere Lehr- und Lernerfolg.

Wenn man von einem konkreten Anwendungsnutzen der Lernstilforschung sprechen kann, dann ist es vor allem die Begründung für didaktische Vielfalt in den Lehrangeboten und Lehrmethoden (FLECHSIG 1996), die aus all diesen Ansätzen herauszulesen ist.

Die Berücksichtigung individueller Lernstile ist selbst schon Ausdruck einer  individualistischen Orientierung als Wertsetzung. Eine Person wird als Lerner oder Lernerin mit eigentümlicher Art gesehen; dies grenzt sich von Sichtweisen ab, in denen das Lernen als  allgemein gattungsgebundenes Verhalten betrachtet wird, das vorgegebenen Mustern zu folgen habe. Und auch die Sachverhalte selbst, die gelernt werden (sollen oder können), sind unterschiedlich betrachtet: einmal sind es konstruierte Wahrheiten, die auch im Aneignungsprozess „geschaffen" werden: im anderen Fall sind es objektiv vorhandene Wahrheiten, die möglichst originalgetreu zu erfassen oder zu reproduzieren sind.

Eine sehr wesentliche Erfahrung beim Einsatz von Messinstrumenten (Inventaren) zur Erfassung individueller Lernstile ist deren elaborative Funktion. Wenn sie -wie dies z.B. beim LSI von Kolb der Fall ist- von den betreffenden Personen sofort selbst ausgewertet werden können (um Rückmeldung zu geben, welcher „Typ man denn sei"), kann dieses der Ausgangspunkt eines Gruppengesprächs sein, in dem Erfahrungen zum Lernverhalten ausgetauscht und reflektiert werden. Gerade angesichts mancher Zweifel an der Güte solcher Inventare ist damit auch eine methodologische Korrektur und Relativierung erreicht, die sehr an das Konzept der „kommunikativen Validierung" erinnert. Somit ist der Beitrag solcher Inventare zum Thema Identität mehr auf die Identitätsfindung zu  beziehen.

Wenn man zudem das Lehren als Spiegel des Lernens betrachtet, so sind ähnliche Prozesse auch für Lehrende festzustellen. Die Reflexion über ihren Lernstil bringt auch Lehrende auf ein Nachdenken über eigene Identität und kann geeignet sein, ihnen zu verdeutlichen, dass ihre Stärken und Schwächen nicht absolut zu setzen sind, sondern Beziehungen aufweisen zu jeweils einigen unter ihren Lernern und Lernerinnen.

 

Literaturhinweise:

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Flechsig, Karl-Heinz: Kleines Handbuch didaktischer Modelle, Eichenzell, Neuland -  Verlag für lebendiges Lernen, 1996

 

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Haller, Hans-Dieter: An die Tür des Geistes klopfen. Lernen und Problemlösen. In: ManagerSeminar, 1992, 7, S. 42-49

 

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Tait, H. / Entwistle, N.: Identifying students at risk through ineffective study strategies. In: Higher Education, 31, 1996, S. 97-116.

 

 

Einige Forschungsdesiderata:

  • Passung von Lernstilen und Lernumgebungen
  • Lernstile und Kulturen
  • Verbesserung von Lernleistungen durch anpasstes Lehren
  • Lernstile und Rückmeldung
  • Lernstile und Lernkontrollen
  • Lernstile in e-Learning-Kontexten
  • Lernstile und Gender
  • Konstanz oder Entwicklung von Lernstilen
  • Kontextualität von Lernstilen
  • Herkunft (Ursachen) von Lernstilen

 

 

Rückmeldung und Lernstile

Lernstile spielen nicht nur eine Rolle bei der Art und Weise des Lernprozesses, auch die Umstände und Bedingungen im Umfeld des eigentlichen Lernens können unterschiedlich ausgerichtet sein.

Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die Orientierung von Lernenden hinsichtlich der Art und Weise von Rückmeldung. In Gesprächen mit Studierenden haben wir dieses immer wieder erfahren können; viele z.B. sehen Rückmeldung durch ihre Dozenten als sehr persönliche Angelegenheit und wollen nicht "vor versammelter Mannschaft" Kritik hören, so wohlwollend und gutgemeint sie auch sei.

Hierzu hat Hans-Dieter Haller schon vor wenigen Jahren einen Fragebogen entwickelt und stellt eine erste Auswertung dar:

Fragebogen und Auswertung zur Rückmeldung